Am 25. März 2012 versammelten sich viele Gläubige zu einer Passionsandacht an der Gezelinkapelle. Pfarrer Zöller segnete die sieben Fußfallstationen, die im Laufe des Winterhalbjahres dort neu errichtet worden waren. Im Dezember 1992 hatten Unbekannte sechs der sieben Stationen umgestürzt und zerstört.
Ob sich die Rowdies bewusst waren, in wessen Fußstapfen sie damit traten? In der dunkelsten Zeit Deutschlands waren die Fußfälle schon einmal umgeworfen worden – von drei namentlich bekannten Schlebuscher Nationalsozialisten. Dabei wurden die originalen Steinkreuze auf den Andachtsmalen zerstört. Nach 1945 richtete die Gemeinde St. Andreas die Stationen wieder auf, ließ allerdings die Steinkreuze durch kleine grußeiserne Kreuze ersetzten. So standen sie entlang der Opladener Straße und der Gezelinallee rings um den Gezelinwald, in dem während der Gezelinoktav unter hohen Buchen die Gottesdienste gehalten wurden, bis sie 1968 dem Ostring weichen mussten. Sie wurden in die Grünanlagen an der Gezelinkapelle versetzt. Die Gemeinde St. Andreas hatte dieses Gelände von der Stadt Leverkusen im Tausch gegen Kirchengelände in Schlebuschrath erworben, um einen neuen Platz für die Feier der Gezelinoktav zu erhalten.
1983 kam es auf Empfehlung des Rheinischen Amts für Denkmalpflege zu einer ersten Restaurierung. Die alten Steinmale waren stark verwittert und nicht mehr standsicher. Die Restauratoren sicherten die vorhandene Substanz und ergänzten, was verloren gegangen war, vor allem die Abschlusskreuze aus Stein. Die Kosten (ca. 35.000 DM) teilten sich das Erzbistum Köln, der Landschaftsverband, die Stadt Leverkusen und die Gemeinde St. Andreas.
Keine zehn Jahre hat es gedauert, bis die Fußfälle erneut mutwillig zerstört wurden. Lange lagen die Trümmer unbeachtet in der Grünanlage. Aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit wurden sie sogar als Unterlage beim Grillen benutzt. Küster Christian Kaltenbach hat sie schließlich sichergestellt und so die jetzige Restaurierung möglich gemacht. Sie wurde im Rahmen der Regionale 2010 zu 90 Prozent vom Land NRW finanziert, weil diese schlichten Steinmale in unserer an Denkmälern armen Stadt ein bedeutendes Zeugnis der Frömmigkeit unserer Vorfahren darstellen. 3.600 € hat die Kirchengemeinde beigesteuert. St. Andreas hat aber auch die Kosten für Neupflanzungen in der Grünanlage rund um die Fußfälle zu übernehmen; hier ist die Hilfe der Pfarrvereine gefragt.
Die Schlebuscher Fußfälle sind im 18. Jahrhundert von Freiherr Jobst Mauritz Droste zu Senden errichtet worden. Weil der Stifter dem Deutschen Orden angehörte, tragen sie im Sockel das Deutschordenskreuz. Möglicherweise haben sie einen älteren Kreuzweg abgelöst, der die Gezelinkapelle mit der Schlebuschrather Pfarrkirche verband.
Droste zu Senden war von 1716 bis 1754 Landkomtur der Ballei (Ordensprovinz) Koblenz, zu deren Besitz das Schloss Morsbroich gehörte. Der Freiherr hat sich häufig hier aufgehalten, nicht nur, weil er ausgedehnte Jagdvergnügen liebte, sondern auch, weil er die Einkünfte seiner Ordensprovinz steigern wollte. Er brachte die wirtschaftliche Entwicklung des Ritterguts soweit voran, dass er 1724 das Haus Steinbüchel hinzuerwerben konnte, ein Jahr später die Doktorsburg.
Droste zu Senden war ein eifriger Förderer der Gezelinverehrung. Ihm verdanken wir neben den Fußfällen den schönen Barockaltar in der Gezelinkapelle sowie das älteste bis heute erhaltene Andachtsbüchlein zum seligen Gezelinus, das er 1729 unter dem Titel „Brunnen des Heylands …“ herausgab. Das Wappen im Gezelinaltar wird ihm zugeschrieben. Das gleiche Wappen findet man übrigens im Giebel der St. Nepomuk-Kapelle in Fettehenne, deren Wiederaufbau er ebenfalls unterstützte.
Die sieben Fußfälle stellen für den deutschsprachigen Raum die ursprüngliche Form des Kreuzwegs dar. Pilger übertrugen den Leidensweg Jesu aus Jerusalem in ihren Heimatort und legten dabei oftmals die genaue Länge des Weges vom Haus des Pilatus bis zum Kalvarienberg zugrunde. So sollten sich auch diejenigen, denen eine Pilgerfahrt ins Heilige Land nicht möglich war, das Leiden Jesu vergegenwärtigen können. Kreuzwege mit sieben Stationen wurden zum Beispiel um 1500 in Lübeck und Nürnberg errichtet. Aus der gleichen Zeit gibt es in Bamberg einen vollständig erhaltenen Kreuzweg mit neun Stationen. Seit 1600 errichteten die Franziskaner Kreuzwege mit den heute bekannten vierzehn Stationen, die Papst Clemens XII. 1731 als die kanonische Form bestätigte. Aber auch danach wurden noch Fußfälle errichtet, wie das Beispiel an der Jakobuskapelle in Kürten-Dürscheid-Spitze belegt. Die sieben Bildstöcke wurden 1841 gestiftet und sie stellen in schlichten Szenen das Gebet Jesu am Ölberg, den Judaskuss, die Geißelung, die Dornenkrönung, die Bekleidung mit dem Purpurmantel, den Fall Jesu unter dem Kreuz und seinen Tod am Kreuz dar.
Da die Schlebuscher Fußfälle keine Bilder aufweisen, wissen wir nicht, welcher Szenen des Leidens Jesu hier gedacht wurde. Ihren Namen haben sie daher, dass man sich an jeder Station auf beide Knie niederfallen ließ mit den Worten: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.“ Die Fußfälle hatten ihren festen Platz im Frömmigkeitsleben unserer Vorfahren. Man ging sie zum Beispiel immer, wenn jemand gestorben war. Bei Verheirateten übernahmen das sieben Frauen, bei Unverheirateten sieben Mädchen aus der Nachbarschaft. Dieser Brauch verschwand allmählich, als in der Pfarrkirche die Kreuzwegstationen errichtet wurden. In den 1950er Jahren sah man während der Gezelinoktav nur noch einzelne Beter die Fußfälle gehen.
Die Siebenzahl der Stationen wird auch in Zusammenhang mit den sieben Hauptkirchen in Rom gebracht, deren Besuch dem Rompilger seit alter Zeit empfohlen wurde. Im Rheinland kamen im Spätmittelalter als Ersatz für die aufwendige Pilgerreise nach Rom Wallfahrten zu lokalen Heiligtümern auf, die man „Römerfahrt“ nannte. In diesem Zusammenhang verweist Heimatforscher Wilhelm Kaltenbach auf ein Dekret des Papstes Bonifatius IX. von 1394, das den Nachvollzug des Bittgangs durch die sieben Pilgerkirchen Roms in der an Kirchen nicht armen Stadt Köln erlaubte. Er vermutet, dass die „Römerfahrt“ durch Vermittlung des Stiftpropstes von St. Kunibert nach Schlebusch gekommen sein könnte. Denn dieser war auch Archidiakon des Dekanates Deutz, zu dem Schlebusch damals gehörte. Jedenfalls hat es im 19. Jahrhundert hier eine „Römerfahrt“ gegeben, wie das ab 1827 geführte Lagerbuch der Schlebuscher Pfarrkirche belegt. Am Nachmittag des Palmsonntags zog man in Prozession von der Pfarrkirche zu den sieben Fußfällen an der Gezelinkapelle.
Zu solchen „Römerfahrten“ wird in vielen Gemeinden unseres Bistums bis heute an Palmsonntag eingeladen. Die Wiedererrichtung der Sieben Fußfälle an der Gezelinkapelle könnte für unseren Seelsorgebereich ein Anlass sein, diese Tradition wieder aufleben zu lassen und eine meditative Form des Passionsgedenkens neu zu entdecken. Vielleicht kann man so unsere Fußfälle vor erneuter Zerstörung bewahren.
Norbert Hölzer
Anmerkung: Kurt Saal und Christian Kaltenbach sei gedankt für wertvolle Hinweise und die Bereitstellung von Unterlagen zur Geschichte der Schlebuscher Fußfälle.
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